Buchrezension

[Rezension] Vox – Christina Dalcher

Januar 10, 2019

Titel: Vox
Autor: Christina Dalcher
Seitenzahl: 400
Verlag: Fischer Originaltitel: Vox
Übersetzerinnen: Marion Balkenhol und Susanne Aeckerle

100 Wörter am Tag. Mehr dürfen Frauen seit der Reform der neuen Regierung nicht mehr sprechen. Die Wörter werden mit Hilfe eines Wortzählers, in Form eines Armbandes, gemessen. Strafe droht, sobald die Wortanzahl überschritten wird, dabei werden Elektroschläge an der Unterseite des Wortzählers freigesetzt. Für Männer gibt es, im Gegensatz zu allen weiblichen Bewohnern, keinerlei Einschränkung beim Sprechen oder bei anderen persönlichen Angelegenheiten. Doch wie konnte es dazu nur kommen?

Immer wieder fragt sich Jean, unsere Protagonistin, wie es soweit kommen konnte? Wie konnte es passieren, dass man Frauen so stark unterdrückt, Ihnen die Arbeitsstelle streicht, den Mund verbietet, die Bildungsmöglichkeiten auf ein Minimum beschränkt, kurzum all die Freiheiten streicht, die man kennt und braucht um sich zu entfalten. Jean lebt mit ihrem Mann Patrick und ihren vier Kinder in einer offenbar ansehnlichen Wohngegend, immerhin war sie bis vor einem Jahr eine angesehene Neurolinguistin und ihr Mann ist ein Berater des Präsidenten. Unter dem neuen Gesetz leidet auch ihre Tochter Sonia, sie ist mittlerweile so introvertiert, dass sie selbst die 100 Wörter am Tag nicht spricht. Sonia war auch der Charakter, der mir während des gesamten Länge des Buches immer sympathisch war.

Anders sieht es da bei Jean aus. Hatte ich im ersten Drittel des Buches noch Mitleid mit ihr und war ich irgendwann von ihrer Art und Weise genervt. Zu Beginn bekundet sie immer wieder ihre Versäumnisse, dass sie nicht bei den Protestmärschen dabei war, dass sie nicht gewählt hat, dass sie insgesamt so viel verpasst hatte, weil sie so mit sich beschäftigt war. Ich fand diese Selbstreflexion gut und aufrüttelnd für den Leser, denn oftmals kennt man dieses Verhalten von sich selbst, grade bei der aktuellen politischen Lage. Leider scheint Jean dennoch nichts daraus gelernt zu haben, so hält sie nach der langen Ehe mit ihrem Mann offenbar nicht mehr allzu viel von ihm, ohne mit ihm jedoch wirklich sprechen zu wollen, auch wenn sie nur wenige Worte zur Verfügung hat, müsste ihr doch etwas daran liegen, sich mit ihrem Ehemann auseinandersetzen zu können. Wahrscheinlicher ist es, dass sie sich gar nicht mit ihm auseinandersetzen möchte, denn es gibt noch Dr. Rossi, ein ehemaliger Arbeitskollege von ihr. Wie Jean, kommt auch er aus Italien und relativ schnell fangen sie eine Affäre an. Für mich war diese eingeschobene Liebesgeschichte absolut unnötig, die dazugehörigen Szenen fand ich anstrengend zu lesen, und vor allem lernt auch Jean hier nichts aus der Vergangenheit. Statt mit ihrem Mann zu reden, und das wäre zu Beginn der Affäre noch ohne Wortzähler möglich gewesen, schweigt sie, steigert sich hinein und belügt die Menschen. Dennoch hätte mir die Geschichte gefallen können bis zum Schluss, schließlich ist ein unsympathischer Charakter kein Grund, ein Buch schlecht zu bewerten für mich.

Leider gab es ein noch viel gravierenderes Problem. Ab der Hälfte des Buches verschob sich der Schwerpunkt, so fühlte es sich zumindest für mich an. Mit einmal waren die 100 Wörter und die Unterdrückung der Frauen nicht mehr das Hauptthema, sondern viel mehr ging es darum, dass ein Gegenmittel für eine Hirnerkrankung gefunden wird bzw. die Liebschaft zwischen Dr. Rossi und Jean mehr auszuleuchten. Den Wortzähler hatte Jean zu diesem Moment schon gar nicht mehr. Diese Verschiebung fand ich einfach unglücklich, denn nicht nur ist damit automatisch mein Interesse abgeflaut, da ich mich einfach auf eine andere Lektüre gefreut habe, sondern wurde es einfach immer unrealistischer. Am Ende gab es Einschübe von brutalen Momenten, die keinerlei Förderung für die Spannung oder den Handlungsverlauf hatten. Insgesamt beschlich mich das Gefühl, dass aus einem gesellschaftskritischen Roman ein Thriller mit biochemischen Elementen wurde.

Fazit:

„Vox“ zu beurteilen fällt mir ziemlich schwer. Die Grundidee, mit der auch das Buch beworben wurde, hat mir ziemlich gut gefallen. Auch die „Wachrüttel“-Momente in der Vergangenheit, in der Jean eben nicht den Mund aufgemacht hat oder zur Wahl gegangen ist, fand ich sehr gut und sie haben den gesellschaftskritischen Teil sehr gut vertreten. Die Wendungen in der Mitte des Buches und die Verschiebung des Schwerpunktes haben mich jedoch sehr gestört und dazu geführt, dass die anfängliche Freude verflogen war.

 

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  1. Huhu Sandra,

    dass das Buch so eine inhaltliche Wendung nimmt… Wow, wie unnötig. Ich kann verstehen, dass das nicht ins Bild passte.
    Aus der Grundidee hätte man doch so viel machen können. Schade.

    Liebe Grüße
    Tina

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