Auf der Zugfahrt nach Stuttgart zu einem Literatur-Seminar fiel mir ein Artikel aus der Rubrik Kultur in der WELT Kompakt vom 27.Oktober 2017 in die Hände. In dieser Kritik geht es um einen konkreten Rassismusvorwurf gegenüber der amerikanischen Autorin Laura Moriarty. In ihrem neuen Roman „American Heart“ geht es, wie der Name schon sagt, um Amerika, allerdings in einer dystopischen Zukunft verpackt. Es ist „ein Amerika, in dem Muslime sich registrieren lassen und in Lagern leben müssen.“, so die Verfasserin des Artikels Iris Alanyali. Sarah, die junge Protagonistin des Buches, nimmt diesen Umstand hin, sie ist eher an sich selbst interessiert als an den Gesetzen. Die Auffassung, sie würden schon ihre Richtigkeit haben, ist vorherrschend, bis sie auf Sadaf trifft, eine dem Lager entkommene iranischstämmige Amerikanerin. Und mit Sadafs Aussagen schwankt auch Sarahs Weltbild und sie beschließt Sadaf zu helfen, und sie wollen zusammen nach Kanada fliehen.
Die Parallelen zur deutschen Geschichte fallen sofort auf, die dystopische Zukunft die hier gezeichnet wird, ist eigentlich ein erneutes Aufleben der deutschen Vergangenheit auf amerikanischen Boden. Und obwohl auf den ersten Blick alles doch so „normal“ scheint, immerhin wandelt sich Sarah und beschließt Sadaf zu helfen, wird die Kritik um die junge Autorin immer größer. In ihrem Artikel greift Iris Alanyali dabei auf Aussagen auf den Social Medias zurück, hier bei dominiert die Aussagen, dass es sich erneut um eine „der verhassten ‚white savior“-Erzählung [handle]“ die einen weißen, strahlenden Retter als Helden hat, der dem armen dunkelhäutigen Opfer zur Hilfe eilt. In einem Atemzug nennt sie dabei „Wer die Nachtigall stört“ und „12 Years a Slave“, die beide nach diesem Muster funktionieren.
Die Kritik bezieht sich aber auch darauf, dass nur der Blickwinkel der weißen Protagonistin betrachtet wurden wäre, nur durch ihre Augen lernen wir Sadaf kennen. Iris Alanyali stellt richtig fest, dass diese Mikroaggressoren dafür sorgen, dass wir hypersensibilisiert sind gegenüber jeglichen Gedanken. Die Mikroaggressoren können dabei meist schon ganz klein anfangen, es können eine „kleine Gesten oder Wörter, meist unschuldig vorgebracht, von Empfänger oder einer sensiblen Umwelt aber als Beleidgung aufgefasst“ sein. Und genau das ist das „Problem“ was zur Zeit um sich schlägt. Natürlich ist es richtig kritisch mit den kulturellen Gütern umzugehen, ob nun Musik, Literatur oder Geschichte. Es darf dabei aber nicht passieren, dass jegliche Kreativität und Freiheit erstickt wird, denn dadurch verlieren wir nicht nur diese wichtigen Tribute unserer Gesellschaft, sondern auch das Bunt-sein, das Ich-selbst-sein. In dieser Diskussion führt es dann soweit, dass sich die Autorin rechtfertig, bekannt gibt, dass sie sich intensiv mit der muslimischen Kultur auseinander gesetzt hat, und sogar befreundete Muslimen das Manuskript zum lesen gegeben habe. Sie stellt aber auch fest, dass sie gar nicht gewinnen kann, selbst wenn sie es aus der Sicht von Sadaf geschrieben hätte. Ihr wird sozusagen von der Gesellschaft mitgeteilt, „dass ich nicht die Erlaubnis habe, diese Geschichte zu schreiben“.
Ich nehme natürlich auch die Kritik der Rezensenten ernst, denn ja es gibt die „white saviour“-Erzählung wirklich, denn leider hat uns die Geschichte gezeigt, dass Farbige zu oft unterdrückt wurden. Und ich würde mir auch Geschichten wünschen, die diesen Charakter aushebeln, und dennoch, so lange wir in unserem Kopf immer wieder unterscheiden, zwischen schwarz, weiß, homosexuell, heterosexuell, bisexuell, transgender und so weiter, so lange werden immer wieder Mikroaggressoren uns davon abhalten voran zu kommen und besser zu werden als Gesellschaft. Ich bin für mehr buntes Denken, für farbenfrohe Geschichten, in denen es uns um die Kernaussage geht!
Gern könnt ihr mir in den Kommentaren eure Sicht zu dem Thema mitteilen, ich freue mich auf eine angeregte und freundliche Diskussion mit euch!
Ein wunderbarer Beitrag, den ich nicht nur gern gelesen habe, sondern so nur unterschreiben kann.
Ich finde es sehr schwierig, über solche problematischen Themen zu schreiben, weil durch die von dir genannte Hypersensibilisierung alles auch anders verstanden und der eigentliche Sinn plötzlich umgedreht werden kann. So ist es meiner Meinung nach auch in dem von dir beschriebenen Fall geschehen. Einerseits versteht man die Gründe der Autorin des Artikels, andererseits muss man sich fragen, ob sie die Aussage des Buchs absichtlich so und nicht anders verstehen will. Manchmal erscheint es mir glatt so, als würde man vehement nach Hass suchen, auch dort, wo keiner sein möchte oder gewollt war. Und wie du schon sagst, Kritik ist wichtig, aber wenn man Hass sucht, dann wird man welchen finden und damit erst neuen schüren.